Projektfahrt Januar 2016

Windenergie für Tula/ Äthiopien 19.01.-06.02.2016

Mitreisende

  • Jürgen Reinhardt, Maschinenbauingenieur i. R., Mockritz (19. 1. – 6. 2. 2016)
  • Dr. Jochen Hahn, Pfarrer, Rüsseina (19. 1. – 6. 2. 2016)
  • Hans-Jürgen Graf, Zerspaner, Starbach (19. 1. – 6. 2. 2016)
  • Franz Fröhlich, Entwicklungsingenieur i. R., Dresden (19. 1. – 2. 2. 2016)
  • Werner Hofmann, Tischler, Dresden (19. 1. – 2. 2. 2016)
  • Lutz Mummert, Meister Heizung und Sanitär, Klessig (23. 1. – 6. 2. 2016)
  • Martin Menzel, Kraftfahrer, Bodenbach  (23. 1. – 6. 2. 2016)
  • Andreas Zehrfeld, Versicherungskaufmann, Gleisberg (23. 1. – 6. 2. 2016)
  • Dirk Schulze, Medientechniker/ Journalist,  Dresden  (23. 1. – 6. 2. 2016)
  • Uwe Zschörper, Kommunaltechniker, Starbach  (23. 1. – 6. 2. 2016)

Inhalt

  1. Projektvorlauf 2015
  2. Ziel der Projektreise 2016
  3. Die Realisierung des Projektes
    1. Eine „Fest-bedingte“ Startverzögerung – Das Timkat-Fest
    2. Materialbeschaffungen, Partnerschaftspflege und Transport in den Süden
    3. Der Zustand in Tula; neu verlegte Kabelstrecken; finanzielle Situation
    4. Kleine Überraschungen: „Megaphone“ in der Mekane-Yesus-Kirche, Friseursalon und Handy-Ladegeschäft
    5. Masten setzen in Windes-Eile: Der Ausbau der neuen Nebenstrecke
    6. Wartung an der Windkraftanlage
    7. Energiekapazität und Strombedarf
  4. „Wir bekommen keinen Strom!“ – Spannungen in der Dorfbevölkerung
  5. Menschliche Brücken: Liranso Solomon – ein fröhlicher Übersetzer, ein bewegter Kinoabend und ein Volleyball-Spiel „Deutschland gegen Tula“
  6. Bemerkenswertes: Essen in Tula und Kochen mit äthiopischem Holzkohlekocher / Wann trinken die Tiere? / wundersamen Tempo aus dem Boden gestampft: Straßenbahn, Autobahn, Eisenbahn in und um Addis Abeba
  7. Projektkosten, Perspektive

Anlage: Verlegeplan Dorf Tula Stand 2016

1. Projektvorlauf 2015

vgl. Projektbericht 2015

Im Jahr 2015 konnten in zwei Aufenthalten alle Voraussetzungen zur Stromerzeugung und Energieverteilung im Dorf Tula geschaffen werden:

  • Aufbau und Inbetriebnahme der Windkraftanlage
  • komplette Installation und Einrichtung der Umrichterstation („Elektrohaus“)
  • Installation der Hauptleitung von der Umrichterstation bis zur Schule (Freileitung, 1,8 km)
  • Anschluss von ca. 20 Rundhütten, der Schule und der Kebele-Verwaltung (Kommunalverwaltung)
  • Stromversorgung der abgelegenen Mekane-Yesus-Kirche mittels Kleingenerator
  • praktische Ausbildung von drei jungen Technikern (Befähigung zur Kabelverlegung und   Hausinstallation)
  • Organisation eines Finanzsystems (Stromnutzungsgebühr)

Im Laufe des Jahres 2015 wurden durch die drei Techniker ca. 50 (!) Rundhütten sowie zwei Kirchen in Eigenregie verkabelt und installiert. Auf Grund von Kabelmangel konnten die Arbeiten nicht weiter fortgeführt werden.

2. Ziel der Projektreise 2016

Die Ziele der Aktion 2016 sind rel. einfach zu beschreiben:

  1. Materialnachschub (Kabel, Klemmdosen, Sicherungsdosen, Schalter, Steckdosen, Kleinmaterial)
  2. Kontrolle und Erfassung aller bisher verlegten Leitungen und Hausanschlüsse
  3. Erweiterung des Dorfnetzes durch einen neuen Nebenstrang incl. Hausanschlüsse
  4. Auswechseln eines weiterentwickelten Windladereglers im Elektrohaus
  5. Recherche zu Einnahme und Verwendung des Stromgeldes
  6. Planung weiterer Ausbauschritte

3. Die Realisierung der Projektschritte

3. 1. Eine „Fest-bedingte“ Startverzögerung – Das Timkat-

Der Dreikönigstag (Epiphaniasfest) wird in Äthiopien kalenderbedingt erst am 19. (am 20.  1. in Schaltjahren) gefeiert. Dass das Fest aller Feste zwei Tage dauert, hatten wir nicht geplant. So mussten die Kabelkäufe am 1. Tag warten. Stattdessen zogen Zehntausende in die Stadt Addis Abeba ein, tanzend, singend, in farbenprächtigen Kleidern und mit knallbunten Schirmen. Vor dem Zuge werden rote Teppiche ausgerollt. Nachdem die Menschen am ersten Tag des Festes aus der Stadt ausgezogen waren und an Wasserstellen übernachtet hatten, gilt der zweite Tag dem Täufer Johannes und der Taufe Jesu. Priester tragen die verhüllten Gebotstafeln auf dem Haupt. Alles in allem wunderbare  Eindrücke der sehr ursprünglich wirkenden äthiopisch orthodoxen Kirche!

3. 2. Materialbeschaffungen, Partnerschaftspflege und Transport in den Süden

Im Unterschied zu früheren Jahren ist die Kabelbeschaffung in Addis Abeba kaum mehr ein Problem. Die türkisch geführte Firma „EuroCable“ am Piazza z. B. führt eine ganze Anzahl verschiedener Kabelsorten, die in einer Firmenhalle am Rande von Addis Abeba hergestellt und in kürzester Zeit verfügbar sind. Auch Klemmdosen o. ä. sind im Elektrogroßhandel nahe am Piazza in größerer Zahl zu haben. So konnten wir innerhalb zweier Tage das Material versorgen.

Wie in jedem Jahr statteten wir einen Kurzbesuch bei unserem äthiopischen Partner ab, der Kirche Mekane Yesus. Hier wurde uns wiederholt dargelegt, dass dieses Projekt sowohl für Kirche als auch regional-staatliche Stellen ein außerordentlich wichtiges Referenzprojekt ist zur Lösung des Energieproblemes in weit abgelegenen Regionen. Leider konnte eine vorerst geplante Einweihung in Tula mit offiziellen Vertretern von Kirche und Staat auf Grund von Finanzproblemen nicht erfolgen.

Noch am 22. 1. 2016 ging es dann mit Jeep und Pickup nach Hossanna, von wo aus die Kabel dann mit Jeep nach Tula gebracht werden konnten.

3. 3. Der Zustand in Tula; neu verlegte Kabelstrecken, finanzielle Situation

In Tula angekommen begegneten uns sehr geordnete Verhältnisse. Das Elektrohaus war in einem geordneten Zustand. Kaum ein Werkzeug fehlte. Die Akkus der vier Akkuschrauber waren aufgeladen. Der Dieselgenerator war startklar. Er war genutzt worden und die Starterbatterie intakt. Die drei jungen Techniker waren zur Stelle und warteten darauf, weitermachen zu können. Ein Rundgang durch das Dorf zeigte: Das Netz war erheblich ausgebaut worden. 20 Hütten, Schule, und Dorfverwaltung hatten wir im Januar 2015 selber angeschlossen. Nun waren es ca. 75 Wohnhütten. Zu unserem Erstaunen war nicht nur – wie geplant – die ortsnahe evangelische Kaleot-Kirche/Pfingstgemeinde angeschlossen, sondern auch die 800 m auswärts liegende evangelische Mekane Yesus Kirche. Letztere hatten wir 2015 der Entfernung wegen mit einem kleinen Notstromaggregat ausgerüstet. Vermutlich aus Gleichheitsgründen hatten die Techniker das lange Kabel gezogen. O. K. Das Dorf hat seine eigene Entscheidung getroffen und umgesetzt.

Was uns freute war die Tatsache, dass die Techniker auch in unserer Abwesenheit weitestgehend die Normen eingehalten haben, die wir gesetzt hatten. Alle Kabel-verbindungen waren ordnungsgemäß geklemmt – vermutlich eine Seltenheit in Äthiopien, werden doch dort üblicherweise alle Kabel kreuz und quer durch die Räume gezogen (nach dem Prinzip „Die Diagonale ist die kürzeste Verbindung“), Abzweige einfach „angeraupt“ (angedreht) und blanke Kabelstellen mit etwas Plastfolie notdürftig isoliert, außen und innen. Insofern kann sich Tula mit Fug und Recht als Musteranlage sehen lassen. Jeder Nebenstrang, jede Hütte hat eine eigene Absicherung. Alles verläuft übersichtlich an Wänden. Die Außenkabel sind sämtlich isoliert ausgeführt, Abzweige werden über Freileitungs-abzweigklemmen realisiert. Freilich sind einige diese Materialien in Äthiopien nicht im Handel zu haben, so dass die Äthiopier selbst auch kaum eine Chance zu solider Installation haben.

Was die finanzielle Situation anlangt, so hat sich das durch 2015 uns vorgeschlagene System gut bewährt. Jede angeschlossene Familie zahlt in die kommunale Stromkasse eine einmalige Anschlussgebühr von 100 Birr (4,35 Euro/2016) und pro Monat einen Strombeitrag von 20 Birr (0,87 Euro/2016). Zusätzlich wird pro Familie und Monat ein Sicherheitsbeitrag von 5 Birr (0,22 Euro) erhoben zur Bezahlung der Person, die nächtlich im Elektrohaus übernachtet. Jeder der Techniker wird wiederum mit monatlich 480,00 Birr (20,80 Euro) bezahlt. Damit soll dieser Dienst auch attraktiv bleiben. In der Stromkasse war ein momentanes Guthaben von 5.000 Birr (217,00 Euro) als Rücklage vorhanden. Mit steigender Anschlusszahl dürfte sich die finanzielle Situation zugunsten einer schneller wachsenden Rücklage entwickeln. Damit steht der Betrieb des Energiesystems auf eigenen Füßen. Im Unterschied zum vergangenen Jahr haben wir in diesem Jahr deshalb auch kein Geld mehr in die Stromkasse eingebracht. Den Kommunalverantwortlichen haben wir dies ausdrücklich erklärt: Ein Energiesystem, dessen laufender Betrieb von Deutschland Geld benötigt, wäre ein schlechtes Entwicklungskonzept.

3. 4. Kleine Überraschungen: „Megaphone“ in den Kirchen, Friseursalon und Handy-Ladegeschäft

Das hat uns dann doch etwas überrascht: Die Gottes-dienste waren deutlich lauter geworden. Kein Gitarrenspiel mehr, sondern Keyboard, dazu Mikrophone, dicke Tonboxen und Verstärker (alles in allem 700 Watt Leistung), und dies in beiden Kirchen. In der Kaleot-Kirche hatte dies noch seinen guten Sinn, wurden doch wegen der Menge vor der Kirche die Gottesdienste nach draußen übertragen. In der anderen Kirche schmerzten uns die Ohren und wir fragten uns kritisch: „Was haben wir hier angerichtet?“. Aber dies ist offenbar Empfindungssache.

 

Erstaunt waren wir beim Rundgang auch, mind. zwei kleine  „Friseursalons“ ausmachen zu können. Ein anderer kleiner Laden (also genauer genommen eine kleine Lehmbauhütte) bietet an, Mobiltelefone aufzuladen. Da haben findige Leute eine kleine Marktlücke entdeckt, und vielleicht entwickelt sich so Stück um Stück eine kleine Infrastruktur. Mit durch uns vorge-gebenen Strukturen werden wir sehr vorsichtig sein. Gut wäre mit Sicherheit eine kleine Dienstleistungswerkstatt, die die Techniker betreiben könnten. Wir wollen sie nicht „vorsetzen“ (wie im ersten Projektort Debo). Das Dorf wird selber darauf kommen.

3. 5. Masten setzen in Windes-Eile: Der Ausbau der neuen Nebenstrecke

Nachdem wenige Tage später die zweite Hälfte unserer Gruppe in Tula eingetroffen war, konnten wir den weiteren Netzausbau starten. Der Aufbau einer neuen Nebenstrecke war vorgesehen. Mit Kommunalverwalter gingen wir als erstes die Strecke ab und markierten mit Farbspray die Standorte der Masten. Auch das war nun für uns überraschend. Wir hatten kaum den Farbpunkt gesetzt, da war auch schon durch Anwohner das Loch für den Masten gegraben, der Eukalyptusstamm gefällt und entrindet. Steine zum Verfestigen waren herbeigeschafft und schon am nächsten Tag waren die Masten gestrichen und eingesetzt, ca. 700 Meter Strecke war vorbereitet! Hier machte sich die Routine bemerkbar, die keiner langen Erklärung mehr bedurfte. So konnte dann durch uns das noch von 2015 übrige dicke Kabel (35mm² Alu) gezogen werden. In drei Tagen war die Kabelstrecke fertig und der Hausanschluss durch uns und die Techniker konnte beginnen. 20 neue Hausanschlüsse wurden durch uns bewältigt und die Freude der Bewohner war groß. Unsererseits kam es dabei gar nicht so sehr auf die Anschlusszahlen an, sind doch die Techniker weiter am Werk. Kontrolle des bisher geschaffenen und die weitere Planung war am Ende wichtiger.

3. 6. Wartung an der Windkraftanlage

Schrauben nachziehen. Das war das Hauptziel der War-tung an der Windkraftanlage. Dazu musste die Anlage umgelegt werden, was wir als Lehrveranstaltung für die Techniker gestalteten. Jeder Handgriff wurde von den Technikern vorgedacht und ausgeführt. Wir griffen nur anleitend ein.

3. 7. Energiekapazität und Strombedarf

2012 geschätzte Werte

Eine der spannendsten Kennziffern ist der tatsächliche Energieertrag und tägliche Stromverbrauch. Vorherige Schätzungen sind schwierig. In der Machbarkeitsstudie von 2012 waren wir (allerdings bei einer Solarleistung von 2 KWp; jetzt real 3 KWp) ausgegangen von einer erzeugten Tagesenergiemenge von 11 KWh (Wind + Solar), einer nutzbaren Energiemenge von 8 KWh/Tag (Umwandlungsverluste) und von einem Tagesverbrauch von 7,5 KWh bei 100 Häusern (vgl. www.creaprotect.de unter „Projekt Tula/ Machbarkeitsstudie“ unter 5. 3.).

Tatsächliche Meßwerte 2015/2016:

a) Energieerzeugung 1 Jahr: Solarerzeugung vergangenes Jahr gesamt (1/2015-1/2016): 2833 KWh Durchschnittliche Tageserzeugung Solar: 7,76 KWh Der Windkraftertrag kann für das vergangene Jahr nicht realistisch erhoben werden, da die Windkraftanlage wegen eines defekten Reglers für unbestimmte Zeit außer Betrieb war.

b) Energieerzeugung in 4 Tagen unserer Anwesenheit (Meßzeit 27. 1. 7.00 – 31. 1. 7.00 Uhr): Die Witterung war energietechnisch nicht ideal, was allerdings einer realen Einschätzung der Energieerzeugung durchaus dienlich ist. Es herrschte (entgegen unserer bisherigen Erfahrung in dieser Zeit) teilbewölkter Himmel bei z. T. sehr schwacher Windsituation (bis hin zu längerer Windstille).

  • Ertrag der Windkraftanlage: 12,6 KWh (Tagesdurchschnitt 3,15 KWh)
  • Ertrag der PV-Anlage (3 KWp): 35,3 KWh (Tagesdurchschnitt 8,82 KWh)
  • gesamt: 47,9 KWh
  • Tagesdurchschnittsertrag: 11,97 KWh

c) Tatsächlicher Energieverbrauch Dorf: (zur Meßzeit ca. 80 angeschlossene Häuser + 2 Kirchen + Schule + Verwaltung) Jedes Wohnhaus hat eine Glühlampe (LED 6 Watt oder noch E-Sparlampe 11 Watt) und eine Steckdose. Letztere wird in vielen Familien sehr häufig und mehrfach genutzt, um Radios laufen zu lassen oder kleine Akku-Geräte aufzuladen. Der Jahresenergieverbrauch im Dorf (1/2015-1/2016) betrug 2.211,6 KWh. Dies wäre ein Tages-durchschnittsverbrauch von 6,0 KWh. Dieser Wert hat allerdings wenig Aussagekraft, da im ver-gangenen Jahr der Ausbau der Anschlüsse Stück für Stück erfolgte.

In den vier Tagen Meßzeit (an anderen Tagen wurde der Strom tagsüber montagebedingt zeitweise abgeschaltet) ergibt sich ein durchschnittlicher Tagesverbrauch von 9,9 KWh. Davon entfallen für die Nachtstunden (ca. 18.30 – 7.00 Uhr) durchschnittlich 6,5 KWh pro Nacht.

d) Fazit zur derzeitigen Energiebilanz: Während in unserer Machbarkeitsstudie der tägliche Energieertrag halbwegs realistisch geschätzt worden war, haben wir den Energieverbrauch des Dorfes zu niedrig angesetzt (7,5 KWh bei 100 Hütten; tatsächlich 9,9 KWh bei 80 Hütten).

Bei einem durchschnittlichen Tagesenergieertrag von 12,0 KWh (Wind +Solar) und einem täglichen Durchschnittsverbrauch von rund 10 KWh fällt die Energiebilanz z. T. schon sehr knapp aus, bedenkt man, dass durch die Ladeverluste zusätzlich Energie verloren geht. Kommen noch – wie vorgesehen – ca. 20 Häuser dazu, wird die Energiebilanz negativ ausfallen. D. h., dass in Abständen an einzelnen Tagen (je nach tatsächlichem Energieanfall) das Dieselaggregat die Akkus zusätzlich aufladen muss. In den Tagen unserer Anwesenheit zeigte der Akkublock einen eher niedrigen Ladezustand (am frühen Morgen ca. 23,8-24,1 V). Es zeigte sich, dass es sich lohnt, die Akkus in kürzeren Abständen richtig hoch zu laden (Sonnentag + Dieselaggregat). Dann besteht auch in Folgetagen ein deutlich besseres Energieniveau im Akkublock.

Da noch ein weiterer kleiner Ortsteil angeschlossen werden soll (ca. 25 Häuser; vgl. Folgeabschnitt), wird eine Erweiterung der Solaranlage unumgänglich sein (vgl. Abschnitt 7).

4. „Wir bekommen keinen Strom!“ – Spannungen in der Dorfbevölkerung

Ja, auch das haben wir erlebt: Es gab z. T. massive Spannungen im Dorf, da die Bewohner von weiter abgelegenen Dorfteilen Angst haben, nun nicht mehr angeschlossen zu werden. Z. T. ist ihre Sorge berechtigt, da unmöglich in jedes entfernte Einzelgehöft Strom gelegt werden kann. Der Ärger führte sogar zu einer mutwilligen Unterbrechung der Zufahrt und zu geringfügigem Kabelklau. Diese Unruhe konnte nur durch eine klärende Dorfversammlung und Polizeipräsenz befriedet werden. Bereits 2011 und 2012 hatten wir deutlich auf die Begrenzung des Ausbaues hingewiesen. Durch die Dorfältesten und Kommunalvertreter war dies auch akzeptiert worden. Für den normalen Dorfbewohner bleibt es dennoch nur schwer zu akzeptieren, dass andere Strom bekommen und seine Familie nicht.

Durch unser Angebot, die Kapazität der Stromerzeugung zu erhöhen (Solarfelderweiterung) und dadurch einen etwas entlegenen Ortsteil 2017 anzuschließen, war der Frieden wieder hergestellt. Beeindruckend waren starke Versöhnungsgesten während einer Einladung in einer Familie: Man umarmte sich und bat einander um Verzeihung, dass harte Worte gefallen waren.

Für uns wurde manches erst im Nachhinein verständlich. Unser Übersetzer, Liranso, hatte viel Druck abbekommen, wollte uns aber mit diesen Problemen nicht belasten. Auch das fanden wir sehr rücksichtsvoll von ihm.

5. Menschliche Brücken

Ein Teil unserer Projektarbeit in Tula liegt auch in der Pflege persönlicher Beziehungen. Es geht nicht an, einfach nur Technik hinzusetzen und dann wieder davonzugehen. Vermutlich scheitert so manches Entwicklungsprojekt daran, dass keine Zeit oder keine Möglichkeit zu begleitenden menschlichen Beziehungen besteht. Wir merken: Dies ist Teil der Ent-wicklungsarbeit. Und dies verleiht unserer Arbeit in Tula sehr menschliche und warmherzige Züge. 

Liranso Solomon – ein fröhlicher Übersetzer

In Tula und Hossanna wird die Regionalsprache Hadiya gesprochen. Sie wird von Amharen nicht verstanden, wiewohl die Leute dort wiederum meist Amharisch (als eine Art Amtssprache) verstehen. Um uns in Tula verständlich zu machen, ist ein Übersetzer das A und O. In dem jungen Ingenieur Liranso Solomon bekamen wir einen wunderbaren Menschen zur Seite, der in fröhlicher Weise und mit viel technischem Sachverstand unsere Arbeit in Tula begleitete. Liranso zeltete mit uns und teilte mit uns Nahrung und Getränke. Danke, Liri! Ohne Dich könnten wir in Tula einpacken!

Die Gastfamilie und die allabendliche Kaffeerunde

Im Vorfeld hatten wir überlegt, unser Camp mitten in das Dorf zu verlegen, da es zu einer Verkürzung der Wege führen würde. Tatsäch-lich haben wir für die Zeit unserer Anwesenheit das Materiallager in die Dorfmitte verlegt. Unser Wohncamp aber beließen wir am Dorfrand in „unserer“ Familie. Die Nähe zum Elektrohaus und zum Windrad war ein wichtiges Argument (Überwachung, Datenauslesung, Tests). Aber auch die geschützte Nähe zu einer  vertrauten Familie war wichtig. So gab es jeden Abend gegen 20.00 Uhr (2.00 Uhr äthiopischer Zeit) eine Kaffeerunde in der Wohnhütte - urromantisch und stimmungsvoll! Vor uns der Familienkreis um das offene Feuer, hinter uns das gesamte Vieh der Familie (ca. 12 Großtiere und dazu noch Kleinvieh). Stille. Knistern. Leises Schnaufen der Tiere. Kochgeräusche. Murmeln der Anwesenden. Wir sitzen auf Hockern, die aus einem Holzstück geschnitzt wurden. Vor uns Korbgefäße mit geröstetem Getreidekorn (sog. Kollo). Kaffeetrinken in Äthiopien ist alles andere als eine schnelle Angelegenheit. Erst wird der grüne Kaffee gewaschen und gerieben/gereinigt. Dann wird er auf einer Eisenplatte geröstet, dann mit Mörser/ Eisenstange zerstoßen und anschließend mind. 10 Min. durchgekocht. Nach dem Ausschank wird selbiger Kaffeesatz noch zwei weitere aufgegossen und gekocht. Das Eigenartige: Selbst empfindsame Kaffeeseelen, für die ein Kaffeegenuss nach 16.00 Uhr zu turbulenten Nächten führt, können hier getrost noch 20.00 Uhr oder später Kaffee in größeren Mengen genießen. Ob durch das Kochen das Coffein entschwindet?

Ein bewegter Kinoabend

Wie bereits im vergangenen Jahr boten wir wieder einen Freiluft-Kino-Abend an. Laptop und ein einfacher Beamer machten es möglich. Die dazu ausersehene Hauswand allerdings war zweifarbig, hellblau und naturlehmfarben. Ein kleiner Hinweis auf den Kino-Abend veranlasste die Familie, in kürzester Zeit mit Kalk die Hausmauer in eine echte Kino-Wand zu verwandeln. So kam es zu einem erquicklichen und fröhlichen Abend mit ca. 80 Kindern und Erwachsenen, die die Bilder und Kurzfilme aus den vergangenen Tagen mit Jubel anschauten. Für viele dieser Kinder und Erwachsenen, die im vergangenen Jahr nicht dabei waren, waren es wohl die ersten projizierten Bilder ihres Lebens.

Ein Volleyball-Spiel „Deutschland-Tula“

Großen Wiederhall fand unser Vorschlag, auf der großen Ballwiese vor unserem Elektrohaus ein Volleyballmatch zu bestreiten: „Deutschland gegen Tula“. Am letzten Abend kam es zu diesem denkwürdigen Spiel. Die Jugend von Tula wartete schon sehnlichst auf uns (die wir von einer Einladung verspätet kamen). Eine einfach gespannte Leine und ein paar Striche auf der Wiese als Feldumrandung reichte vollkommen für ein fröhliches Spiel. Es wurde erst beendet, als der Dunkelheit wegen der Ball nicht mehr wirklich auszumachen war. Wir hatten durchaus Mühe, gegen die sehr agil spielenden Jugendlichen von Tula zu bestehen. So kam uns die einbrechende Dunkelheit ganz recht …

6. Bemerkenswertes

Essen in Tula und Kochen mit äthiopischem Holzkohlekocher

Wir müssen gestehen: Am Essen unserer Gastgeber nehmen wir nur zur Kaffeeabendrunde teil. Was essen die Dorfleute täglich? Kollo (geröstete Getreidekörner oder Erbsen), Kotcho (ein für uns sehr gewöhnungsbedürftiger Brei aus dem Stamm bzw. der Wurzel der falschen Banane, gewürzt oder gebacken) sowie Grünkohl und gedünstete Hülsenfrüchte. Nach Aussage des Hausvaters wird Fleisch nur 3-4 Mal im Jahr (!) gegessen. Wir wundern uns nicht, dass wir in Tula nicht einen einzigen übergewichtigen Menschen ausmachen konnten. Vermutlich halten sich auch Herz- und Kreislaufpro-bleme sehr in Grenzen.

Wie ernähren wir uns? Täglich Körner zu essen, fiel uns zugegebenermaßen schwer. Unser Chefkoch Jürgen Reinhardt (und Beikoch Werner Hofmann) zauberten täglich ein reichhaltiges Mittagessen aus Kartoffeln, Möhren und Zwiebeln vom Markt in Hossanna und mitgebrachten Konserven. Fisch- und Wurstkonserven, Salami, eingeschweißter Käse, Honig und Marmelade mit Weißbrot ergaben fürstliche Morgen- und Abendmahl-zeiten. Mit Tee, Kaffee, Wasser und gutem Bier löschten wir unseren Durst.

Sehr nützlich erwies sich dabei der äthiopische Holzkohlekocher: Aus Ton gebrannt konnten wir spielend einen großen Topf lange am Kochen halten und zusätzlich noch Aufwaschwasser erhitzen. Das ging viel besser als der bis dahin verwendete Gaskartuschen-Kocher. Der Holzkohlekocher aus gebranntem Ton war auf dem Markt für umgerechnet zwei Euro zu haben gewesen.

Wann trinken die Tiere?

Immer wieder fragten wir uns: Wann trinken hier die Pferde und Kühe? Die Tiere fressen meist den letzten Millimeter des eher trockenen und allemal kurzen Grasteppichs bzw. blankes Stroh. Zu trinken bekommen sie einmal in zwei Tagen. Wie das gehen kann? Wir wissen es nicht. Die Tiere leben trotzdem und sind in halbwegs guter Form. Freilich: Schlachtreif soll ein Ochse erst nach fünf Jahren sein, und die Milchmenge, die eine Kuh gibt, hält sich verständlicherweise sehr in Grenzen.

 

Im wundersamen Tempo aus dem Boden gestampft: Straßenbahn, Eisenbahn und Autobahn in und um Addis Abeba

Die Dynamik des Städte- und Infrastrukturausbaues nimmt in Addis Abeba und Umgebung atemberaubende Züge an. Dass Hochhäuser und Hochstraßensysteme wie Pilze aus dem Boden wachsen, hatten wir bereits 2014 berichtet.

Nun, 2016, ist das vor wenigen Jahren begonnene Straßenbahnnetz durch Addis Abeba incl. Hochstraßen und Haltestellen fertig. Die Straßenbahnen rollen. China hat´s gebaut.

Ähnlich die Eisenbahn zwischen Addis Abeba und Djibouti. In wenigen Jahren wurde die elektrifizierte und 800 km lange Strecke fertiggestellt. Chinesische Firmen hatten am Ende wohl das Rennen gemacht. Im Mai 2016 soll die Strecke in Betrieb gehen.

Ebenso im Bau eine moderne Autobahn zwischen Addis Abeba und Djibouti. Wir fuhren ein erstes Stück zwischen Nazareth und Addis Abeba. Ungewöhnlich perfekt, glatt, Mittelstreifen mit Blendschutz oder blühendem Oleander, Brücken mit Wächterhäuschen und Solareinheit, Mautstellen nach modernstem Standard. Wird der Staat die Unterhaltung dieser Infrastruktur, die z.T. durch Entwicklungshilfe möglich wird, auf Dauer stemmen können? Wir sind gespannt. Wir waren zumindest froh, deutlich schneller als sonst nach Addis Abeba gelangen zu können.

7. Projektkosten, Perspektive

Für die Projektfahrt 2016 fielen Kosten an in Höhe von ca. 8.000 Euro. Dies betraf Anschaffungen im Vorfeld (Glühlampen, Installationsmaterial, elektronische Komponenten), den Kauf von Kabeln und Elektrozubehör in Addis Abeba, Transport- und Unterbringungskosten innerhalb Äthiopiens. Die Flugkosten und die Beköstigung wurden von den Teilnehmern wie bisher privat getragen.

Wie weiter mit dem Projekt?

Auf Grund der nun erreichten Kapazitätsgrenze ist 2017 geplant, das Solarfeld zu verdoppeln. Dies macht einen Weiterausbau in einem bisher nicht berücksichtigten Dorfteil möglich und sorgt durch eine verbleibende Restkapazität für die Garantie einer positiven Energiebilanz. Mehr Solarausbau ist bei dem vorhandenen  Akkublock (24 V DC, 1800 Ah) technisch nicht machbar (zu hohe Lade-ströme, begrenzte Kapazität). Grob geschätzt werden wir für die nächste Aktion im Januar 2017 ca. 12.000… 14.000 Euro benötigen. Wir hoffen auf weitere Spenden.

Z.Zt. werden durch die Techniker wöchentlich alle wichtige Daten erfasst, was eine spätere Auswer-tung der Anlage möglich macht (Windstärke, Energieeinkommen Wind und Solar, Energieverbrauch im Dorf, Spannungsniveau der Akkus, Einsatz des Notstromaggregates).

Interessant bleibt die Frage, wie viel Energie in den verschiedenen Jahreszeiten Windkraft- und Solareinheit über das Jahr tatsächlich einbringen werden.

gez. Dr. J. Hahn, März 2016

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